Waldorfpädagogik und Nachhaltigkeit

Waldorfpädagogik und Nachhaltigkeit

Rudolf Steiner: Der Begründer der Waldorfpädagogik und der biologisch-dynamischen LandwirtschaftAls Rudolf Steiner in den 1920ern die Waldorfpädagogik begründete, steckte die Wissenschaft der Ökologie noch in den allerersten Kinderschuhen und es sollte noch ein halbes Jahrhundert vergehen, bis in den siebziger Jahren ökologisches Wissen und Denken in den Unterricht der Schulen allgemein einfloss. In den fünfziger Jahren hatten zwar bereits einige Wissenschaftler vor der drohenden großen UmweltkatastropheRachel Carson: Autorin des Buches "Stummer Frühling" gewarnt, am eindringlichsten dann wohl 1962 Rachel Carson mit ihrem „Stummen Frühling“1, doch bis diese Botschaft aber in den Köpfen der Öffentlichkeit angekommen wa r, brauchte es eine neue Partei und ein Vierteljahrhundert Zeit. Dann endlich war Umweltschutz in aller Munde und kein Politiker kann es sich seither mehr leisten, nicht umweltgerecht zu entscheiden. Hinzu kam noch vor etwa einem Jahrzehnt der Begriff der Nachhaltigkeit, mit dem ein zukunftsorientiertes Denken und Handeln unter Berücksichtigung ökologischer Gesetzmäßigkeiten gemeint ist.

Die Ökologie wurde einmal als die „Lehre vom Haushalt der Natur“ definiert. Dass indes der eigene Haushalt, auch die Haushaltskasse, ebenso wie der Staatshaushalt genauso be- und getroffen wird, wenn dieser Naturhaushalt nicht rund läuft, dass haben jüngste ökonomische Was uns die Bäume schenkenBerechnungen deutlich gemacht: Was kostet es, wenn Pflanzen aussterben, Bestäuberinsekten nicht mehr ihre Arbeit tun oder Mangroven die tropischen Küsten nicht mehr befestigen? Kosten i n der Größenordnung von mehreren Hundert Milliarden Euro fallen da an. Diese Botschaft erreicht jetzt auch die Menschen, bei denen der Begriff der Artenvielfalt alleine keine emotionale Resonanz hervorruft.

Und die Pädagogik in diesem Umfeld? Heutige Schüler kennen das Thema und es macht ihnen Angst – es ist, anders noch als vor 30 Jahren, allgegenwärtig in den Medien und in den Katastrophenszenarien der Kinos. Damals ist den Schülern zwar schon viel erzählt worden über Umweltschutz, doch führte das nur manchmal, aber nicht verlässlich zu einem nachhaltigen Handeln, zu Engagement in Umweltverbänden, zu Protest. Oft lernten sie statt dessen einerseits sehr wohl, dass Getränkedosen nicht einfach weggeworfen werden dürfen und taten es andererseits aus Bequemlichkeit dann doch, ebenso wie allgemein schon bekannt war, dass Batterien nicht in den Müll gehören, man trotzdem immer wieder die Walkman-Batterien im Klassenpapierkorb finden konnte. Einsicht und entsprechendes Handeln sind ganz offensichtlich zwei sehr wohl zu unterscheidende Dinge.

Überquellender Mülleimer - Quelle: Wikipedia

Rainer Trapp2 hat aus der Sicht der analytischen Philosophie überzeugende Belege gefunden, dass alle ethischen Entscheidungen am Ende aller rationalen Begründungsversuche letztlich auf individuellen Präferenzen beruhen. Die Vorerfahrungen des Entscheiders stehen ihm im Alltag parallel zu seinen Überlegungen des Entscheidens in Form emotionaler Empfindungen ganz unmittelbar zur Verfügung. Ohne sie, also, beispielsweise im Falle von Hirnschädigungen, auf ihre blanke Rationalität zurückgeworfen, sind Menschen in den komplexen Situationen des Alltags unfähig, sowohl hinreichend schnell zu entscheiden, als auch eine Unterbrechungen überdauernde Konzentration auf ein übergeordnetes Ziel aufrecht zu erhalten. Diese wichtige kognitive Funktion der Emotionen und ihre essentielle Bedeutung für vernünftiges Handeln ist spätestens seit Antonio Damasios Theorie der somatischen Marker3 in den Wissenschaften erkannt worden.

Zweitklässler sammeln Müll auf dem SchulgeländeWie aber lassen sich nun in der Pädagogik Einstellungen entwickeln, die zu einem Zusammenschluss dieser oftmals auseinander klaffenden Bereiche Einsicht und Alltagshandlung führen? Wie kann das Setzen geeigneter somatischer Marker befördert werden? Das geht nicht aus der kognitiven Bearbeitung der unmittelbar auftretenden Problemstellung heraus, sondern muss sehr lange vorher ansetzen:

  • Verantwortungs- und Mitgefühl müssen als Seelengesten angelegt sein.

  • Verständnis für Notwendigkeiten und das Empfinden, sich selbst als Teil des Ganzen der Natur zu erleben, sind Voraussetzungen.

Schon sehr früh muss diese Art von Umweltpädagogik einsetzen, bereits in den ersten Lebensjahren, spätestens aber in den ersten Klassen. Das aktive Zuwenden zur Natur, stets auf der emotional-sinnlichen Ebene kann die Basis bilden für das spätere verantwortungsvolle Handeln aus Einsicht. „Wahrnehmung, Freude haben, interessiert sein, praktizieren, bejahen, gutheißen“, zählt Holger Baumann (Waldorflehrer in Oberberg) die notwendigen Grundlagen auf, die zu einer Erziehung zu einem Umweltbewusstsein führen können.4

Mehrschichtiger Mischwaldbestand als waldbauliches Ziel

Neben den notwendigen Naturerfahrungen in diesem Alter lernen die Kinder bereitwillig und begeistert, für ihre Lebenswelt Verantwortung zu übernehmen, wenn sie Dienste im Klassenzimmer übernehmen, oder Müll auf dem Schulgelände aufsammeln. Auch die Schulung eines ästhetischen Empfindens in diesem Alter hilft dem Menschen, sich in seiner Umwelt sinnvoll zu orientieren, Schönes zu erkennen und zu bewahren.5 Später kommen dann „beobachten und untersuchen“ hinzu, schließlich wird in der Oberstufe die Urteilskraft des einzelnen Schülers gefordert.

Holz, Heizung, WärmeNicht Wissen allein, nicht die Datenreihen, Graphen und die Messlatte der Katastrophen schaffen Verantwortungsbereit-schaft. Walter Baumann formuliert das in direktem Bezug auf Rachel Carsons Aussage,

Wenn Faktenwissen die Saat darstellt, aus der später Einsicht und Erkenntnis reifen, dann sind die Empfindungen, die Gefühle und die Sinneseindrücke der fruchtbare Boden, den die Samen brauchen, um keimen zu können.6,

weiter wie folgt:

Eine ethische Haltung des Heranwachsenden zur Umwelt, eine ökologische Handlungskompetenz kann erst dann heranreifen, wenn ein affektiver Zugang zur Natur in den ersten Schuljahren erfahren wurde. Die seelischen Grundlagen für den praktisch-pflegerischen Umgang mit der Natur in der Mittelstufe und für den späteren wissenschaftlichen Umgang in der Oberstufe müssen also erst geschaffen werden.

Aber auch in der wissenschaftlichen Vorgehensweise gibt es Alternativen zur üblichen analytischen Methodik, die die »Dinge« in Teilchen zerlegt und oft den Zusammenhang aus den Augen verliert. Vom Ganzen her auf seine Teile zu schauen, um Wesentliches zu erkennen, darum bemühen sich die Goetheanistische Naturwissenschaft (von Rudolf Steiner wieder entdeckt) und andere ganzheitliche Forschungsansätze der jüngeren Zeit. Solche Alternativen der Welt-Sicht vorzustellen, fällt dem Oberstufen-Unterricht zu.

Die Waldorfpädagogik der Unterstufe sollte ihren affektiv-seelischen Zugang zur Welt mit Selbstbewusstsein vertreten, auch wenn die kognitiv-abstrakten Ansätze zuweilen als bildungspolitisches Allheilmittel und einziges Ziel gepriesen werden.“ 7

Rudolf Steiner hat schon sehr früh erkannt, dass die bedrohlichen Probleme unserer Gegenwart nur auf eine Weise gemeistert werden können: Der Mensch muss durch seine Erziehung so „stark“ gemacht werden, dass er in Verantwortung und Liebe mit der Welt verbunden, furchtfrei handeln kann. Eine wirklich menschengemäße, die natürliche Entwicklung hilfreich begleitende Erziehung ist hier gefordert und um eine solche bemüht sich die Waldorfpädagogik seit nunmehr fast 90 Jahren. Das ökologische Konzept der Waldorfschule setzt an der Menschenbildung an und führt dann zum konkreten Handeln im jeweils eigenen Lebensumfeld. Nicht umsonst nennt Holger Baumann seinen Artikel in der Erziehungskunst

Global denken – lokal handeln

Wachsendes Wissen

Dr. Gisela Mücke, Dr. Alexander Piecha



 

1
Rachel Carson. Der stumme Frühling. Verlag Biederstein, München 1963

2
Rainer W. Trapp. Nicht-klassischer Utilitarismus: eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt am Main 1988

3
Antonio Damasio: Descartes' Irrtum. Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn. München 1997

4
Holger Baumann. Global denken und lokal handeln. In „Erziehungskunst“ Ausgabe April 2009, Seite 402 – 408

5
Vergleiche: Gernot Böhme. Atmosphären. Frankfurt am Main 1995 und Hans Günther Bastian. Musik(erziehung) und ihre Wirkung. Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen. Mainz 2000 sowie Alexander Piecha. Wozu Kunstpädagogik? Zur kognitiven Bedeutung ästhetischer Erfahrung. In: bilden mit kunst. Bielefeld, 2004, 177-184

6
Rachel Carson: Der stumme Frühling. München 1963

7
ders. Seite 404 f.

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