Evaluation aus Sicht des Kollegiums

Projektevaluation aus Sicht einer Kollegin

Seit meiner eigenen Schulzeit, die ich auf einer Waldorfschule verbrachte, stehen für mich Natur und Umwelt an vorderer Stelle. Viele Themen aus diesem Umkreis erschienen mir für mich und meine Familie immer selbstverständlich, bis ich gewahr wurde, dass ich meine Kenntnisse einem naturverbundenen Klassenlehrer und einer ambitionierten Gartenbaulehrerin verdanke. Im Privatbereich ließen sich in den Folgejahrzehnten viele Ideen umsetzen: Von der Lakto- Ovo-vegetarischen Küche für die Familie bis zur Bearbeitung des Naturgartens hinter dem Haus.

Erst in meinem dritten Beruf als Waldorflehrerin fand ich aber die Möglichkeit, mein Anliegen größeren Gruppen, nämlich meinen Klassen, zu vermitteln.

In Sachen Natur und Umwelt gibt es viel zu tun und es eilt: Das 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert der Umwelt werden und die nächsten drei bis fünf Jahrzehnte sind entscheidend.

Für uns LehrerInnen bedeutet das, eine Generation zu begleiten, der vieles in Natur und Umwelt nicht mehr oder kaum noch vertraut ist. Es sind Kinder, deren Leben und Schulzeit sich von denen der vorangegangenen Jahrzehnte stark unterscheidet. Diese Kinder wurden z.B. von Anfang an täglich mit dem Auto gefahren und bewegen sich relativ wenig. Auch sind sie, mehr als jede andere Generation zuvor, den Medien aller Art, besonders Funk, Fernsehen und Internet, einer Flut von Werbung, täglich ausgesetzt. Alles um sie her ist schnell und rasch getaktet.

Die Kinder von heute sollen das allgemeine Schulwissen erwerben, um mündige Mitglieder der Gesellschaft zu werden, aber was benötigen sie darüber hinaus um den Herausforderungen ihrer kommenden Zeit gerecht zu werden?

Diese Gedanken begleiten mich auch 2001, als ich eine 1. Klasse in der Freien Waldorfschule Evinghausen übernahm. Zusammen mit meinem Parallelklassenlehrer Rolf Krauss, begannen wir von Anfang an die verschiedensten Themen aus Natur und Umwelt mit dem empfohlenen Lehrplan der Waldorfschulen zu verknüpfen.

Bis zum Ende dieser Klassenlehrerzeit nach acht Jahren sind auf diese Weise eine Vielzahl Projekte und Ideen umgesetzt worden. So erschien es nahe liegend, diese Klassen, die heute im zehnten Jahrgang sind, als „Modellklassen“ im Rahmen des DBU Projektes näher zu betrachten.

Berichtsteil

Für die Klassenlehrer in Evinghausen gehören Bewegung und Spiel, Lernen und Verhalten in der Natur, auf Grund der ländlichen Umgebung seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich zum täglichen Unterricht dazu. Die Intensität und Dauer, sowie die Inhalte der außerschulischen Unterrichtseinheiten liegen jedoch im Ermessen der Klassenlehrer.

Viele Aktivitäten unternahmen wir beiden Klassenlehrer des Jahrgangs 2001 mit den Kindern in den folgenden acht Jahren, wovon hier nur einige genannt werden sollen, die besonders nachhaltig auf die Klassen wirkten.

Vor dem Lesen lernen konnten schon die Kinder der ersten Klasse die wichtigsten Baumarten unterscheiden. Sie erkannten die Bäume an Blättern, Früchten, Wuchs und Rinde. Beide Klasse beobachteten den Fuchs im Bau, spielten am Bach und lernten, sich rücksichtsvoll und achtsam in der Natur zu bewegen. Jede Jahreszeit bot eine Fülle an Möglichkeiten, mit den beiden Klassen bei jedem Wetter im Gelände zu sein. Manche Unterrichtsstunde fand im Wald statt, wohin wir uns einige Baumstämme zu einem „Klassenzimmer-Kreis“ legen durften. Sinneswahrnehmungen, lauschen, tasten, schmecken, wurden in den Wald verlegt. Das Spielturnen in den aufgetürmten Laubhaufen war für die Erstklässler eine besondere Wonne.

In der zweiten Klasse luden wir das Krötenmobil in die Schule ein. Die Erfahrungen der Vorjahre hatten gezeigt, dass Kinder, die auf derartig sachkundige Weise früh an die Amphibienwelt herangeführt werden, nachhaltige Helfer und Schützer der Kröten, Frösche und Salamander nicht nur unseres Schulgeländes sind. Auch in diesem Schuljahr fand ein Großteil des Unterrichts im Wald statt. Wildspurenlesen mit der Försterin gehörte mit zu den begehrtesten Stunden dieses Jahres.

Das dritte Schuljahr wurde zu dem aktivsten Jahr dieser Klassen. Alle Kinder erlernten das Holzhacken, sowie Feuer zu machen, zu unterhalten und zu löschen. Dass dazu auch die Wiederherstellung der Grasnarbe gehört, war selbstverständlich. In freier Natur wurde gekocht und gebacken. Ein großes Indianer-Tipi nach Originalschnittvorlagen selbst genäht, bot auch in der kalten Jahreszeit Schutz und Wärme für das Lesenlernen, Geschichten und diverse handwerkliche Aktivitäten. Zum Herbst konnten alle Kinder Suppe und Fruchtmus bereiten, Marmelade kochen, Sauerkraut hobeln und einlegen, sowie Brötchen und Kekse backen.

Die Tierkunde der vierten Klasse bot reichliche Möglichkeiten im Wald und in den Zoologischen Gärten zu zeichnen und zu beobachten. Ein selbst geschriebenes Musikspiel, die „Arche Noah“ von R. Krauss, gab den Kindern beider Klassen viel Gelegenheit in das Wesen der Tiere einzutauchen. Der Wolf, der Bär, der Adler, die Giraffe und viele verschiedene andere Tierarten, begleiteten die Kinder noch Jahre später mit ihren Liedern.

Den Höhepunkt der fünften Klassen bildete eine Wanderfahrt in den Harz. Sternförmig wanderten die Kinder vier Tage im Oberharz, zuletzt wurde der Brocken erklommen. Ihre Fahrtenbücher mit eigenen Texten und vielen Zeichnungen führten die Kinder eifrig.

An die Nordsee reiste die 6a, um auf Juist mehr von den Gezeiten und den Sternen zu erfahren. Das Wattenmeer und Fauna und Flora der Insel wurden intensiv erforscht und besucht. Die Himmelskundeepoche erlebten die Kinder in den sternenklaren Nächten, im Sand liegend, am Strand.

In der siebten Klasse fuhren die Jugendlichen gemeinsamen zu einem Forstpraktikum der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald nach Rothenberg bei Osterode. Vierzehn Tage arbeiteten die Schüler unter kundiger Anleitung vormittags im Forst. Einen Teil der Freizeit verbrachten die Klassen mit Wanderungen und Fahrten zu Höhlen- und Bergwerksbesichtigungen.

Ein zweites Praktikum in einem Zukunftswald bereicherte die 7b nachhaltig. Hier wurde gepflanzt und gehegt, nicht nur gerodet und bereinigt, wie in Rothenberg.

Neben Unterrichtseinheiten zur Energie und Nachhaltigkeit, die immer wieder angeboten wurden und sich zur Biologie, Geografie, Mathematik, Physik und Chemie besonders gut gesellten, gingen beide achten Klassen zum Ende der Klassenlehrerzeit unterschiedliche Wege. Lag der Focus der 8b auf den Baumprojekten und einem gewonnenen Umwelt-Wettbewerb ( siehe Artikel Jamir Priesner), so verbrachte die 8a ihre Abschlussfahrt im Schwarzwald mit dem Projekt „ticket to nature“ der Sporthochschule Köln. Das Nachhaltigkeits-Dreieck machte den Jugendlichen großen Eindruck: Der Einklang von Natur, wirtschaftlichen Interessen und Tourismus stand im Mittelpunkt dieser Fahrt. Skilaufen und Freude haben und dennoch die Natur nicht außer Acht zu lassen, wurde zu einer wichtigen und prägenden Erfahrung.

Innerhalb dieser acht Jahre war es gelungen, die Kinder mit einem guten Maß an Umweltkompetenz auszurüsten. Bei allen Unternehmungen in dieser Richtung waren nicht nur die Kinder mit vollem Einsatz dabei, sondern auch die Eltern, auf deren Unterstützung wir stets bauen konnten.

Die Natur- und Umweltthemen ließen sich gut mit dem Lehrplan der Waldorfschulen in Einklang bringen. Das Stundenraster der Klassenlehrerzeit von täglich 105 Minuten für den Hauptunterricht bot genügend Zeit und Raum für die diversen Aktivitäten. Viele Male unterstützte auch das Kollegium den Forscherdrang der Klassen, indem es zusätzliche Stunden für die Unternehmungen freistellte. Andere, schulische Inhalte mussten nicht vernachlässigt werden, sondern harmonierten, besonders in der Mittelstufe, mit den Themen. Manches Diktat hatte einen Umweltartikel zum Inhalt und Prozentrechnung wurde z.B. mit der Energieepoche verknüpft. Die Naturwissenschaften ermöglichten insbesondere die genauere Betrachtung und Verknüpfung mit Natur und Umweltthemen.

Beide Lehrkräfte der „Modellklassen“ konnten ihr persönliches Anliegen, Kindern die Natur und die Umweltthemen zugänglich machen, in vollem Umfang durchführen. Ein etwaiger Mehraufwand lässt sich im Rückblick nicht benennen, denn auch die „normale“ Klassenlehrerzeit verläuft sehr arbeits- und vorbereitungsintensiv. Hier galt es lediglich, die Themen im Blick zu behalten und zu organisieren. Material für alle Altersstufen und Fächer war ohne großen Aufwand zu ermitteln. Mit dem Blick auf die Kernthemen Umwelt und Natur wurden Gedichte, Lieder, Spiele, Lektüren und Aktivitäten und Aufgaben aller Art ausgesucht und im Unterricht angeboten.

Mit dem DBU Projekt kam noch ein weiterer Ansporn dazu, mit Schülern Nachhaltigkeit zu lehren und zu erlernen und damit den Blick auf zukunftsrelevante Themen zu lenken.

Neu war für die Durchführenden, alle Arbeitsschritte nachzuweisen. Hier trat zum ersten Mal auch ein Mehraufwand für die Lehrenden zutage. Bis dahin war es jedem Kollegen frei gestellt, die tägliche Arbeit in den Klassen individuell vor- und nachzubereiten. Fotografien blieben oft besonderen Anlässen (Fasching) oder den Ausflug begleitenden Eltern überlassen, denn es bedurfte keiner schulischen Dokumentation der einzelnen Unterrichtseinheiten. Die Frage „wie dokumentiere ich meinen Unterricht in Wort und Bild“ beschäftigte die Lehrerinnen und Lehrer sehr. Auch hier war festzustellen, dass sich Gewohnheiten mit der Zeit ändern lassen. Mittlerweile gehört der Fotoapparat zur täglichen Ausstattung vieler Kollegen und die Kinder haben sich daran gewöhnt, bei diversen Aktivitäten fotografiert zu werden.

Der Weg, den wir heute mit Kindern gehen, hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten völlig verändert. Nicht nur durch die Vielzahl von Medien, denen Kinder heute ausgesetzt sind, ist Kindheit anders geworden. Die Mittel der Vergangenheit müssen von Eltern und Pädagogen immer wieder kritisch hinterfragt und auf Aktualität geprüft werden. Gerade die Waldorfpädagogik bietet mit ihrem Konzept eine große Vielfalt von Möglichkeiten an, Kindern das Erleben ihrer Umwelt ganzheitlich und mit allen Sinnen zu ermöglichen.

Achtsamkeit für die Umgebung, für Menschen, Pflanzen und Tiere sind heute unverzichtbare Werte, die besonders im Kindesalter erworben werden können. Ob die Kinder und ihre Familien diese Angebote später für sich umsetzen und nachhaltig in das Leben integrieren, lässt sich nur wünschen und hoffen. In jedem Fall ist es unsere Aufgabe, als begleitende Erwachsene, Kindern und Jugendlichen Alternativen vorzuleben und anzubieten. Die Schulzeit muss Zukunftsperspektiven eröffnen und umfangreiche Kompetenzen anlegen und einüben. Für dieses Ergebnis lohnt sich jeder Aufwand!

Christiana Keller

© 2012 Freie Waldorfschule Evinghausen