Lernweg BNE

Welche Begriffe von Nachhaltigkeit sind an unserer Schule lebendig? Was ist „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE)?

Eine Antwort am Leitfaden einer Projektführung:

Nachhaltigkeit ist ein Modebegriff, dessen Beliebtheit bei Politikern der verschiedensten Parteirichtungen ihm inzwischen einen negativen Beigeschmack verleiht. Abgelöst von seiner ursprünglichen Bedeutung wird er häufig bei Gelegenheiten verwendet, an denen man genau so gut „ökologisch“ oder „langfristig“ sagen könnte, oder aber „sozial“ oder „gewinnbringend“.

Im Rahmen unseres Schulprojektes „Erfahrbare Nachhaltigkeit“ steht der Begriff einerseits im engen Zusammenhang mit seiner ursprünglichen forstwirtschaftlichen Bedeutung. Andererseits ist auch der weiter gefasste Begriff gemeint, der von den Vereinten Nationen in ihrem Aufruf zu „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ verwendet und geprägt wurde. Die Aktivitäten unseres Projektes lassen sich als Lernweg erfahren, der von der ursprünglichen Wortbedeutung ausgeht und zur modernen Begriffserweiterung der Vereinten Nationen hinführt.

Dankenswerterweise dürfen wir auf unseren Seiten eine wissenschaftliche Arbeit von Frau Heidi Engel veröffentlichen, die explizit um das Thema BNE in der Waldorfpädagogik analysiert. Näheres hierzu finden Sie auf der Seite BNE in der Waldorfpädagogik. Alternativ können Sie auch gleich hier direkt die Arbeit als PDF herunterladen (ca. 7 MB).

Forstwirtschaftliche Nachhaltigkeit im Schulwald

Der Begriff Nachhaltigkeit wird auf eine Publikation von Hans Carl von Carlowitz aus dem Jahr 1713 zurückgeführt, in der er von der „nachhaltenden Nutzung“ der Wälder schrieb, ohne aber weiter auszuführen, wie sie zu erreichen sei. Dies erfolgte erst etwas später bei verschiedenen deutschen Autoren im Laufe des 18. Jahrhunderts in forstwirtschaftlichen Publikationen. „Nachhaltigkeit der Nutzung“ bezeichnet dort die Bewirtschaftungsweise eines Waldes, bei welcher immer nur so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann, so dass der Wald nie zur Gänze abgeholzt wird, sondern sich immer wieder regenerieren kann.

Der ursprünglichen Bedeutung von Nachhaltigkeit entspricht der Beginn der Umwelt-erziehung an unserer Schule. Wir führen die Kinder zunächst in den Schulwald, den sie dann im Laufe der Jahre als Ökosystem kennen lernen. (Nähere Informationen hierzu siehe hier.)

Auch bei Führungen von Besuchergruppen, die unser Schulprojekt kennen lernen möchten, ist der Wald ein geeigneter Ausgangspunkt. Die Bezirksförsterin, mit der die Schule zusammen-arbeitet, erklärt dort gerne unser langfristig angelegtes Vorhaben, den Wald durch Schüler pflegen zu lassen. An den weiteren Stationen einer solchen Führung lernen die Besucher nicht nur die übrigen Projektaktivitäten kennen, sondern auch neue Aspekte von Nachhaltigkeit, die dabei hervortreten.

Ökologische Nachhaltigkeit durch Holzhackschnitzel

Vom Schulwald wendet man sich in Richtung Heizungsanlage. Auf dem Weg dorthin, an der Grenze zum Schulgelände, wird die Gruppe von dem Waldbauern erwartet, der die Anlage mit Hackschnitzeln versorgt. Er führt seinen Hacker vor und demonstriert, wie aus dem Restholz, das bei der Durchforstung des Waldes anfällt, Brennmaterial für die Heizung der Schule wird. In den Erklärungen dazu tritt auch das Thema Nachhaltigkeit aus seinem engen Bezug zum Wald heraus und erstreckt sich nun auch auf Umweltschutz durch ökologisches Heizen, CO2-Kreislauf, Energiesparen, etc.

Nachhaltige Entwicklung durch lokales Netzwerk

Die nächste Station einer Führung ist nun die Heizungsanlage, die so ausgerichtet wurde, dass sie von Gruppen begehbar ist, und der angrenzende Seminarraum, in dem Heizungsdaten visualisiert werden können. Hier wird nun nicht nur die Heizungstechnik erläutert, sondern auch das lokale Netzwerk präsentiert, das rund um die Wärmeversorgung der Schule aufgebaut worden ist. Dabei wurden (ab 2008) die Akteure der Schulgemeinschaft mit der örtlichen Forstbetriebsgemeinschaft und der Handwerkskammer verbunden.

Beim Aufbau der Kooperationen orientierte man sich am Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“, wie er in den 1980er und –90er Jahren als Leitbild für das 21. Jahrhundert geläufig geworden ist. Hier geht es um die Verbindung der ökologischen mit sozialen und ökonomischen Aspekten. Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen sich gegenseitig. Es wird langfristig keinen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ohne intakte Umwelt geben. Ebenso wenig wird es gelingen, die Umwelt effektiv zu schützen, wenn Menschen um ihre wirtschaftliche Existenz kämpfen müssen. Der wirtschaftliche und technische Fortschritt nach herkömmlichen Muster bedroht die Umwelt und damit die Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Wirtschaftssystem und Lebensstil der Industriestaaten wie auch der sogenannten Entwicklungsländer müssen sich ändern – aber wie?

Die berühmt gewordene Brundtland-Kommission der Vereinten Nationen hat darauf 1987 eine Antwort gegeben, die oft mit dem Schlagwort „Global denken – lokal handeln“ zusammengefasst worden ist. Angestrebt werden soll nämlich eine Entwicklung, die sich auf Befriedigung der Grundbedürfnisse konzentriert, auf aktive Beteiligung der lokalen Bevölkerung („Partizipation“) und den Aufbau auf lokalen Kulturen und Traditionen.

Die Kooperation der Schule mit der Forstbetriebsgemeinschaft Engter z. B. wurde ganz im Geiste dieser Erklärung aufgebaut. Das Stichwort „Befriedigung der Grundbedürfnisse“ signalisiert eine Abkehr vom Prinzip Profitmaximierung. Dementsprechend basiert die Verbindung von Schule und Waldbauern auf einer partnerschaftlichen Absichtserklärung: Die Bildung des Preises für die Holzhackschnitzel soll sich am Kostenausgleich orientieren und nicht an einer Spekulation, z. B. mit dem Ölpreis. Den zweiten bei Brundtland angesprochenen Gedanken der Partizipation sehen wir besonders durch den Einbezug des Lieferanten bei der Heizungswartung und durch die aktive Beteiligung der Waldbauern bei den Schülerprojekten verwirklicht. Schließlich ist auch der genannte „Aufbau auf lokale Traditionen“ in Evinghausen gegeben, denn die Schule ist aus der Bauernschaft heraus entstanden, der die umliegenden Wälder gehören.

Erfahrbare Nachhaltigkeit und BNE

Oft endet eine Führung im Seminarraum an der Heizungsanlage. Über die verschiedenen Bildungsmaßnahmen, die aus unserem Projekt hervorgehen, wird anhand einer Computerpräsentation berichtet. Am „Tag der Nachhaltigkeit“ jedoch, der Einweihungsfeier im September 2010, wurde die Besuchergruppe auch ins Foyer und in die Aula des Hauptgebäudes geführt. Anhand von Stellwänden, Ausstellungstischen und Vorführungen konnte man sich davon überzeugen, welche Früchte unser Nachhaltigkeits-Curriculum für die Klassen 1-12 in den letzten Jahren getragen hat. Bildung zur Nachhaltigkeit hat sich hier entwickelt und „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) ist intensiviert worden.

In Bezug auf die Bedeutung des Nachhaltigkeitsbegriffs geht es nun um solche Aspekte, die im Aufruf der Vereinten Nationen zur Weltdekade BNE hervorgehoben werden. Dort wurde als wichtigstes allgemeines Bildungsziel der Erwerb von Gestaltungskompetenz formuliert. Schülerinnen und Schüler, die zukünftig Wirtschaft, Politik und Kultur mitgestalten sollen, werden vor zunehmend schwierigen Aufgaben stehen. Zukunftsorientiertes Lernen ist gefragt. Es geht um die Erarbeitung von Wissen und Kompetenzen, um Herausforderungen wie Globalisierung, Klimaveränderung, soziale Spannungen vor der eigenen Haustür aber auch die Armut in anderen Ländern meistern zu können. Hierbei sind Teilkompetenzen wie vorausschauendes und interdisziplinäres Denken ebenso auszubilden wie kooperatives und soziales Lernen, die Fähigkeit zu selbständiger Arbeit und die Umsetzung von Mitbestimmung und Mitgestaltung.

Wer am „Tag der Nachhaltigkeit“ dem Vortrag der Schüler aus der 10. Klasse über ihr selbständig durchgeführtes, preisgekröntes Baumpflanzprojekt „Nimm’ Deine Zukunft in die Hand“ lauschte, dem wurde unmittelbar deutlich: Hier ist Gestaltungskompetenz entwickelt worden.

Auch die Rede des Hauptgeschäftsführers der Handwerkskammer Osnabrück machte klar: Durch die Einbindung der Handwerkskammer in unser lokales Netzwerk haben wir einen innovativen Weg des Bildungstransfers eingeschlagen. Die Berufsorientierung der Waldorfschule ist verbessert worden und zugleich die Ausrichtung der Meisterkurse auf regenerative Energien. In der Tat werden Wissen und Kompetenzen gefördert, um den aktuellen Herausforderungen in Bezug auf nachhaltige Entwicklung gewachsen zu sein.

Der Weg geht weiter

Die Überschau des bisher Erreichten zeigt auch, dass bestimmte Potentiale der Schule bisher noch nicht ausgeschöpft worden sind. Das Lehrerkollegium erarbeitet unter Umsetzung von Prinzipien der Mitbestimmung und Mitgestaltung eine neue Struktur der Selbstverwaltung, ebenso die Einführung des Spanischunterrichts (statt Französisch) in der Mittelstufe. In der 5. Klasse findet Gewaltpräventionsunterricht statt, in der 10. Klasse internationaler Austausch. Lehrer, Eltern und Schüler initiieren Spendensammlungen für Projekte in Entwicklungs-ländern. Alle diese Aktionen werden bisher noch unabhängig von einander durchgeführt, ohne dass der Bezug zu BNE ausgesprochen würde, obwohl er faktisch vorhanden ist. Hier sieht die Projektgruppe „Erfahrbare Nachhaltigkeit“ die Möglichkeit, die Initiativen in Zukunft zu stärken, durch eine integrierende Präsentation in der Öffentlichkeit. Der internationale Austausch und die Spendensammlungen, aber auch andere Aktivitäten sollen durch Vorträge und Diskussionen über BNE beflügelt und vielleicht auch noch intensiver auf die entsprechenden Bildungsziele ausgerichtet werden. Diese Aufgaben wurden als Schwerpunkt der Projektarbeit für die nächsten zwei Jahre auf der Konferenz am 1. Dezember 2011 mit dem Lehrerkollegium verabredet.

(Quellen: Wikipedia – Nachhaltigkeit, Website der Waldorfschule Pforzheim, Website des Alexander von Humboldt Gymnasiums, Hamburg)

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